Otl Aicher und das Designkonzept für die
![]() Die Entscheidung Willi Daume's (Vorsitzender des Olympischen Komitees), Aicher als Designbeauftragten für die Olympischen Spiele zu engagieren, war allerdings ein mutiger Schritt. Die Idee einer visuellen Identität (Corporate Design) wurde Mitte der 60er Jahre noch oft als Unsinn einiger eigenwilliger, moderner Designer wie beispielsweise Anton Stankowski angesehen.2 Auch der Gedanke der Corporate Identity, wo Design durch einen umfassenden Prozess dem Selbstverständnis eines Unternehmens Gestalt gibt, hatte in Deutschland noch nicht Fuß gefasst. Dennoch zielte der Gestaltungsansatz für die Olympischen Spiele darauf ab, ein erwünschtes Image mit einem Designkonzept in einem visuellen Gesamtergebnis überzeugend zu verbinden. Mit diesem Ansatz waren Otl Aicher und sein Team Pioniere einer designtheoretischen Entwicklung. So erkannten die Organisatoren beispielsweise, dass Meinungsbildung nicht nur über eine konkrete Erscheinungsform geschieht, sondern Wissen, Gefühle und soziale Faktoren ebenso eine Rolle dabei spielen. Um für die Olympischen Spiele ein Erscheinungsbild zu definieren, wurde zusammen mit dem Olympischen Komitee (OK) ein Fragebogen erstellt.3 Enthalten waren nicht nur Fragen zu gestalterischen Aspekten, sondern auch eine Vielzahl von Fragen zu Gebieten der Kommunikation und des menschlichen Verhaltens - wichtige Faktoren, die den Spielen ihre Identität verleihen sollten. Bald nachdem das OK im Juli 1966 gegründet war, erkannte es, dass ein einheitliches visuelles Erscheinungsbild eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der XX. Olympischen Spiele sein würde.4 Daumes Intention galt nicht in erster Linie, den Ablauf der Spiele zu organisieren - ihm war klar, dass es dafür genügend Fachleute gab. Er war mehr daran interessiert, die Gestalt dessen zu planen, was die Besucher mit nach Hause nehmen würden - nicht eine Reihe von sportlichen Ergebnissen, sondern nachhaltige Begeisterung. Den Organisatoren war auch bewusst, dass Sport keine neutrale Aktivität ist. Im 19. Jahrhundert wurde Sport zum Teil als vormilitärische Übung verstanden (das Vorbild des wehrhaften Turners und die später folgende makabre Mischung nationalsozialistischer und sportlicher Ambitionen). Im 20. Jahrhundert wurden oft in Betrieben gymnastische Übungen weniger aus humanitären denn aus Eigeninteresse angeboten. Es war deshalb klar, dass Inhalt und Form der Olympischen Spiele 1972 in enger Beziehung mit der allgemeinen Auffassung von Sport standen. Der Leitgedanke von München lehnte die vorherrschende Theorie einer in Arbeit und Freizeit geteilten Lebenswelt (in der Sport und Freizeit der Regeneration und damit der besseren Arbeitsleistung dienen) ab. Statt dessen sollte Sport als zweckfreie, in den Alltag integrierte Aktivität und nicht als Ausgleich zur Arbeit verstanden werden. Daraus resultierte, dass die Planung der Münchner Spiele auf folgenden Überlegungen aufbaute: - die Spiele können keine neutrale Einzelveranstaltung sein, sondern bedürfen einer Interpretation, - das aufkommende Phänomen der Freizeitökonomie und der damit verbundenen Neudefinition der Umwelt als Vergnügungsraum mit einzubeziehen. Als ideale Lösung zu diesen Entwicklungen dachte man an ein Modell, in dem Freizeit und Arbeit durch Design als eine Einheit in Erscheinung treten. Was Form und Inhalt der Spiele anging, bedeutete die Olympiade 1936 in Berlin ein kritisches Vermächtnis. Es ist allgemein bekannt, welche politischen Ziele mit den Spielen von damals verfolgt wurden und wie es Hitler schafte, seinen Staat durch die Olympiade ins Rampenlicht der Welt zu stellen. In dieser Strategie wurden alle Objekte und jegliche Kommunikation von einer politischen Weltanschauung überlagert, die sich zu diesem Zweck formaler Elemente der Antike bediente. Das verordnete Ziel war, durch Größe, Inszenierung, Organisation und visuellen Erlebnisse die Massen zu beeindrucken. Obwohl es sich hierbei im Grunde um eine gigantische NS-Veranstaltung handelte, muss im Nachhinein eingeräumt werden, dass die Spiele von 1936 für nachfolgende Olympiaden auch einen Standard setzten: Der Fackellauf, die festliche Ausschmückung der gastgebenden Stadt und der Einsatz von Medien der Massenkommunikation wie Film und Rundfunk.5 Die Organisatoren von München nahmen dieses ambivalente Erbe nicht als Maßstab, sondern als Herausforderung, die kommenden Spiele von den vorangegangenen zu unterscheiden. Für die Olympiade 1972 wurde es deshalb erklärtes Ziel, mit dem Konzept von 1936 zu brechen und sich in erster Linie auf das sportliche Ereignis zu konzentrieren. Die Spiele von München sollten weder bombastisch noch zu emotional sein, sondern spielerische Heiterkeit sollte Ausdruck des festlichen Charakters sein. Zusätzlich sollte eine Vielzahl anderer kultureller Veranstaltungen die kulturelle Bedeutung der Spiele unterstreichen. Natürlich war es nicht möglich, jeglichen politischen Einfluss fernzuhalten. Doch die Spiele sollten bewusst frei von jeglicher politischer Ideologie sein und eine Plattform bilden, auf der sich der Osten und Westen, der Norden und Süden friedlich begegnen.6 Überlegungen zum Gestaltungskonzept Es gab eine Reihe grundsätzlicher Überlegungen für die Gestaltung des visuellen Erscheinungsbildes von München: 1. Es sollte in erster Linie durch Symbole (und weniger durch Sprache) kommuniziert werden. 2. Die Gestaltung sollte Inhalt und Ausrichtung der Spiele sichtbar machen und den Besuchern auf dem olympischen Gelände und in der Stadt Orientierung vermitteln. Otl Aicher und sein Team verbanden die Entwicklung eines Designkonzeptes zunächst mit der Definition von Ordnungsprinzipien für die einzelnen im Designkonzept enthaltenen formalen Elemente. Drucksachen wie beispielsweise Poster, Broschüren, Eintrittskarten und Briefköpfe wurden lediglich als Träger des visuellen Erscheinungsbildes betrachtet. Es kam darauf an, all diese Elemente nach einheitlichen Kriterien zu gestalten. Standardisierung wurde jedoch nicht als Gleichförmigkeit definiert, sondern als ein flexibles System betrachtet, in dem die variablen Teile einander verwandt sind, weil alle nach denselben Regeln verwendet werden. Auf diese Weise sollte ein visuelles Erscheinungsbild entstehen, das nicht auf Gleichförmigkeit, sondern auf Beziehungen gründet, und die Gestaltung spielerischer Freiheit mit den Vorteilen von Ordnung und Klarheit verbindet. ‚Einheit in der Vielfalt' wurde zum Schlüsselprinzip in der Planung und Umsetzung des visuellen Erscheinungsbildes für die Olympischen Spiele 1972. ![]() Aicher und sein Team reduzierten die Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten, indem sie zunächst drei grundlegende, einfache Gestaltungselemente definierten: Farbe, Schrift und Symbole. Die Grundfarben Blau und Weiß sollten dem Farbkontrast entsprechen, den das Bergpanorama im Süden Münchens ergibt. Um den leichten, jugendlichen Charakter der Spiele zu unterstreichen, entschied sich Aicher für eine klare, sachliche Schrift. Die serifen-lose ‚Univers' wurde als erste geplante Schriftfamilie bereits 1957 von dem Schweizer Adrian Frutiger entwickelt, und bot ein System von genau aufeinander abgestimmten Schnitten und Gewichten. Ein weiterer Aspekt in der konkreten Umsetzung des Gestaltungskonzeptes befasste sich mit der Frage, durch welche Art der Symbolisierung (Schriftzeichen oder bildhafte Zeichen) Information kommuniziert werden sollte. Ein charakteristisches Merkmal von Großveranstaltungen wie z. B. den Olympischen Spielen ist sowohl die Dichte als auch die Verschiedenartigkeit der Informationen. Dieser Sachverhalt verlangte schnell erfassbare Inhalte, deren formale Darstellung weitgehend unabhängig von sprachlicher und kultureller Interpretation bleiben. Deshalb wurde eine bildhafte Darstellungsweise bevorzugt und so genannte Piktogramme entwickelt, die die Kommunikation zwischen einem vielsprachigen und multi-kulturellen Publikum regeln sollten. Alle im Gestaltungskonzept definierten grafischen Elemente wurden nach festgelegten Regeln hinsichtlich Kontrast, Ordnung, Qualität und Multiplikation verwendet. Aicher war überzeugt, dass ein Repertoire an einfachen grafischen Elementen (Stereotypen) im methodischen Zusammenspiel nicht langweilige Einzelelemente bleiben, sondern sich in einem modularen System in interessanten Variationen verbinden können. Er sah normative (regelnde) Parameter als eine wichtige Voraussetzung für eine spielerische Freiheit, und in diesem Zusammenhang Gestaltung als ein Spiel mit Regeln: ...man wird schnell belehrt, dass intelligenz, fantasie und spiel gerade dann zur erscheinung kommen, wenn man sich in den elementen begrenzt. an die stelle der elemente tritt das spiel der methode und die methode des spiels. man entdeckt, dass die freiheit regeln voraussetzt und entdeckt immer neue regelspiele. die entfaltung des spiels liegt in seiner regel.7 und ein homogenes erscheinungsbild entsteht durch die verwendung gleichartiger symbole und farben. diese elemente lassen sich als normen fixieren ... und zu spielregeln erweitern. die einzelnen elemente wurden so aufgefächert, dass sie als bausteine verwendet werden können. nicht das konstante zeichen dominiert, sondern die methode.8 Diese Art von Erscheinungsbild hatte die Fähigkeit, über die Funktion für ein bestimmtes Ereignis hinaus zu wirken. Es bildete ein visuelles Klima, ein Image, das für kommende ähnlich gelagerte Gestaltungsaufgaben Maßstäbe setzte. Zentrale visuelle Elemente des olympischen Erscheinungsbildes Das Olympische Signet Durch vorangegangene Olympische Spiele war es Tradition geworden, dass die fünf olympischen Ringe mit einem zusätzlichen Signet ergänzt wurden. Oft waren es abgeleitete heraldische Symbole aus der Geschichte der gastgebenden Stadt. Rom (1960) bediente sich seines Stadtwappens, Tokio (1964) des Symbols der japanischen Sonne und Mexiko (1968) einem Zeichen, das in Verbindung mit dem dort traditionellen Sonnenkalender stand. ![]() Für München gab es den Gedanken, ein Zeichen zu entwickeln, das seinen Wert über die Olympischen Spiele hinaus bewahren können sollte. Dies veranlasste Aicher, nach einer visuellen Sprache zu suchen, die sich sowohl aus den geografischen Charakteristiken der Umgebung als auch dem Sport erklären lässt. Am 10. Oktober 1967 präsentierte Aicher seinen ersten Entwurf: Ein einfacher Strahlenkranz, der als Symbol für die Sonne über der Stadt und den Alpen aber auch für den Lorbeerkranz des Sieges gesehen wurde.9 Dieser Entwurf wurde allerdings vom olympischen Komitee abgelehnt mit der Begründung, dass das Symbol sich aufgrund seiner einfachen, fast generell wirkenden Formensprache nur schwer als Zeichen schützen ließe. Darauf folgte eine langwierige und schwierige Entscheidungsfindung, die nicht nur innerhalb des olympischen Komitees stattfand, sondern öffentliche Diskussionen und zum Teil Unmut auslöste. Die Entscheidung, einen öffentlichen Wettbewerb auszuschreiben, zog 2332 Einsendungen nach sich. Dennoch fand die Jury, der Anton Stankowski vorsaß, keinen der Entwürfe passend. Nach dieser Erfahrung schlug Stankowski die Bildung eines Design-Teams vor, dem Aicher, H.W. Kapitzki, C. von Mannstein, K. Winterhage und W.D. Zimmermann angehörten. Die Gestalter sollten eine Lösung ausarbeiten, die auf Aichers erstem Entwurf (Strahlenkranz) aufbaute. Schließlich fand der Entwurf von C. von Mannstein und seinem Team in Köln den Zuspruch des olympischen Komitees. Mannstein hatte mit Hilfe komplizierter mathematischer Kalkulationen eine Spiralform mit Aichers Strahlenkranz verbunden und erhielt daraus ein dynamisches und einzigartiges Symbol für die Olympischen Spiele. Die Plakate Für die Gestaltung der olympischen Plakate waren zwei grundsätzliche Aspekte wichtig: Die Plakate sollten von allen kulturellen Gruppen gleichermaßen verstanden werden, und ihr Inhalt sollte schnell und leicht erfassbar sein. Als bildliche Darstellung schien Fotografie das geeignete Mittel zu sein. Es war Anton Stankowski, der beim 7. Treffen des Gestaltungsausschusses am 18. April 1968 seinen Vorschlag einbrachte, für die Sportplakate mit ‚experimenteller' Fotografie zu arbeiten. So wurde Aicher gebeten, anhand dieser Idee eine Plakatserie zu entwickeln.10 Am 1. Mai 1969 verabschiedete das olympische Komitee eine Reihe zentraler Gestaltungsmerkmale für die einheitliche Entwicklung der Sportposter-Serie: - nur die im Kanon des grafischen Erscheinungsbildes vorkommenden Farben dürfen verwendet werden, - in diesen Farben sollen mittels Fotografie jeweils typische Bewegungsmomente der verschiedenen Sportdisziplinen ausgedrückt werden, - die gleichmäßigen tonalen Verläufe auf den Fotos sollen in nur wenige tonale Abstufungen übersetzt werden. ![]() Die ersten beiden gedruckten Poster erschienen Ende 1969. Eines zeigte eine Ansicht der olympischen Architektur in München und das andere diente der Werbung für die Segelwettbewerbe in Kiel. Wenig später wurden drei weitere Poster einer folgenden Serie von Sportpostern veröffentlicht, wobei jedes eine Sportart zeigte. Die den Plakaten charakteristischen formalen Merkmale (siehe oben) und die damit verbundene Interpretation der bildlichen Darstellung wurde durch den gezielten Einsatz von acht Farben (inklusive Weiß) erweitert und somit zum Bestandteil des olympischen Farbkonzeptes. Mit der Umsetzung dieser Gestaltungsprinzipien wurde den Plakaten über ihre Aufgabe zu informieren hinaus eine besondere ästhetische Dimension verliehen. Die Olympischen Piktogramme Wie bereits angedeutet, war es notwendig, für ein mehrsprachiges Publikum ein leicht verständliches System von Symbolen zu entwickeln. Das Kommunikationssystem sollte sowohl für die sportlichen Aktivitäten als auch für alle anderen Bereiche (Service, Transport, Kommunikation) der olympischen Veranstaltung funktionieren. ![]() Piktogramme von Tokio (1964), Mexiko (1968) und München (1972) Vignetten für die jeweiligen Sportarten waren nichts Neues in Verbindung mit olympischen Spielen. Schon während der Olympiade 1948 in London wurden Sportarten durch eine umrisshafte Darstellung auf Tafeln repräsentiert. In Melbourne (Australien) wurde 1956 eine Reihe von Vignetten verwendet, die dem Anschein nach eher den Charakter einer Handzeichnung hatten denn sachliche Darstellungen waren. Die Symbole von Mexiko (1968) beinhalteten wesentliche Elemente der jeweiligen Sportart, hatten aber einen illustrativen Charakter und keine überzeugende einheitliche formale Erscheinung. Eine entscheidende Weiterentwicklung bedeutete das Zeichensystem, das von Katzumie Masaru für die Olympischen Spiele in Tokio 1964 entwickelt wurde. Jede Sportart wurde durch eine vereinfachte Abbildung dargestellt, wobei vor allem die typische Körperhaltung und Bewegung bei der figurativen Abstraktion zum Ausdruck kommen sollte. Dieses System funktionierte erfolgreich als interlinguistisches Medium und wurde darüber hinaus zum Vorbild für die Spiele in München. Die Grafiker in München erkannten, dass die Klarheit und Wiedererkennung eines Symbols nur durch ein stark reduziertes Repertoire von grafischen Elementen und ihrer systematischen Anordnung erreicht werden konnten. Ähnlich wie bei den Sportsymbolen von Tokio wurden die Münchner Piktogramme von typischen Körperhaltungen der jeweiligen Sportdisziplin abgeleitet. Der entscheidende Unterschied der Münchner Piktogramme bestand allerdings darin, dass zur Gestaltung der verschiedenen Symbole ein und dasselbe Repertoire von grafischen Elementen verwendet wurde. Diese einfachen Elemente wurden auf einem Raster, bestehend aus gleichen Quadraten und Diagonalen, entsprechend arrangiert. Diese systematische Ordnung garantierte sowohl eine formale Einheit der verschiedenen Abbildungen und ließ die Piktogramme darüber hinaus Teil eines umfassenden visuellen Systems werden. Neben den Sportpiktogrammen wurde auch ein Zeichensystem für weitere Informationen entwickelt. Es bildete die Grundlage für ein umfassendes Zeichensystem, das für die Orientierung und Information in Flughäfen, öffentlichen Gebäuden und bei Großveranstaltungen international zum Einsatz kam. Markus Rathgeb ist Professor für Entwurf und Typografie im Studiengang Mediendesign an der Dualen Hochschule BA Ravensburg. Nach seinem Studium in Wiesbaden und Sydney (Australien) promovierte er an der Universität Reading (England) über Otl Aichers Designmethodik. Das daraus entstandene Buch erscheint Anfang 2005 bei Phaidon (London, New York, Berlin).
1) vgl.: "die augen sind hungrig, aber oft schon vor dem sehen satt." - Otl Aicher zum 75. Geburtstag; Einladung zur Ausstellung im Stadthaus Ulm, 23. November 1997 bis 25. Januar 1988; Stadt Ulm, Ulmer Museum, HfG-Archiv; S. 1
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